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Sonntag, Oktober 12, 2025
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Arbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, Erfassung

Arbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, ErfassungArbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, Erfassung

In der Debatte um die Arbeitszeitgestaltung fließen viele Faktoren ein

Wie wollen wir wirtschaften, wie wollen wir arbeiten und wie wollen wir die Arbeit mit dem Leben vereinbaren. Es geht um Tarifverträge, den richtigen rechtlichen Rahmen, Arbeitszeiterfassung, Mitbestimmungsrechte und die Vier-Tage-Woche.

Es war eine intensive Debatte in der Vergangenheit – und es ist eine nicht minder intensive Auseinandersetzung der Gegenwart: Wie wollen wir wirtschaften, arbeiten und leben? Um diese Frage geht es bei der Arbeitszeit-Debatte.

Auch die neue Bundesregierung von Union und SPD will mehr Möglichkeiten für sehr lange Arbeitstage(Öffnet in einem neuen Fenster) schaffen, indem die Höchstarbeitszeit nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche geregelt werden soll. Außerdem sollen Überstunden finanziell attraktiver gemacht werden.

In diesem Forschungsüberblick finden Sie aktuelle Studien zu den Konsequenzen einer Flexibilisierung und viele Vorschläge für eine moderne und gerechte Gestaltung von von Arbeitszeiten.

Deregulierung von Arbeitszeiten

Die Arbeitszeiten in Deutschland sind hoch flexibel. Das zeigt sich nicht nur in einschlägigen Statistiken zu Abend-, Nacht-, Schicht und Wochenendarbeit, sondern auch beim Blick ins Arbeitszeitgesetz, das etwa die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden erlaubt.

Bisher gilt:

Hans-Böckler Stiftung: Arbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, Erfassung
Hans-Böckler Stiftung: Arbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, Erfassung

Im Februar 2024 hat die Unionsfraktion im Bundestag die Regierung aufgefordert, das Arbeitszeitgesetz zu reformieren.(Öffnet in einem neuen Fenster) Die Grenze für die tägliche Höchstarbeitszeit von – in der Regel – acht Stunden soll fallen und stattdessen nur noch ein wöchentliches Limit von maximal 48 Stunden gelten, wie sie in der EU-Arbeitszeitrichtlinie festgelegt ist. Das soll für mehr Zeitflexibilität sorgen und ist aus Sicht der Union nicht nur im Interesse von Arbeitgebern, sondern auch von Beschäftigten.

Amélie Sutterer-Kipping vom HSI hat als Sachverständige eine Stellungnahme für den zuständigen Bundestagsausschuss(Öffnet in einem neuen Fenster) verfasst. Ihr Fazit: Die bestehenden Spielräume „sind ausreichend, um weitgehende und nötige Flexibilität für beide Seiten des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten“. Weiter verweist die Juristin darauf, dass eine weitere Entgrenzung von Arbeitszeiten Risiken für Gesundheit, Vereinbarkeit und Gleichstellung im Berufsleben bringt. Arbeitswissenschaftlich gesichert ist: Lange Arbeitstage wirken sich negativ auf die Gesundheit aus, nach der achten Stunde steigt das Risiko für Arbeitsunfälle steil an. Und die wenigsten Vollzeitbeschäftigten wünschen sich einen späteren Feierabend – das ergab eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2023.

Hans-Böckler Stiftung: Arbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, Erfassung - Feierabend
Hans-Böckler Stiftung: Arbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, Erfassung – Feierabend

Nun tauchen die Vorschläge, die Arbeitszeiten zu deregulieren, erneut im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung auf. Nur: Sehr lange Arbeitstage und finanziell attraktivere Überstunden sind als Maßnahmen ungeeignet, das Wirtschaftswachstum langfristig zu stärken und für mehr Beschäftigung zu sorgen, und zwar aus zwei zentralen Gründen.

1. Eine Deregulierung der täglichen Arbeitszeit kann bestehende gesundheitliche Probleme in der Erwerbsbevölkerung verschärfen.

2. Es besteht die Gefahr, dass eine Ausweitung der Erwerbsarbeitszeit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter verschlechtert und dadurch insbesondere die Teilnahme von Frauen am Erwerbsleben einschränkt.

Die gesundheitlichen Folgen von sehr langen täglichen Erwerbsarbeitszeiten sind hinlänglich bekannt, betonen Dr. Yvonne Lott und Dr. Amélie Sutterer-Kipping. Lange Erwerbsarbeitszeiten führen zu mehr krankheitsbedingten Ausfällen.(Öffnet in einem neuen Fenster) Sie verringern die Zeit, die notwendig ist, um sich ausreichend von der Arbeit zu regenerieren. Zu den daraus folgenden Gesundheitsrisiken gehören mehr psychosomatische Beschwerden, Herz- und Kreislauferkrankungen, Magen-Darm-Beschwerden oder Schlafstörungen.

Zudem erhöht sich durch Übermüdung infolge überlanger Arbeitszeiten das Risiko von Arbeitsunfällen. So steigt die Unfallhäufigkeit nach der achten Arbeitsstunde exponentiell an, so dass Arbeitszeiten über zehn Stunden täglich „als hochriskant eingestuft werden müssen“, schreibt Expertin Sutterer-Kipping. Die Expertin betont auch, dass die bestehenden Regelungen im Arbeitszeitgesetz bereits erhebliche Spielräume für Flexibilität böten.

Überstunden - Amelie Sutterer-Kipping
Überstunden – Amelie Sutterer-Kipping

Fragmentierte Arbeitszeiten erhöhen Stress: Eine neuere Studie von Arbeitszeitforscherin Lott, zeigt einen weiteren Grund, warum zeitliche Obergrenzen für jeden Arbeitstag wichtig sind. Ohne sie können Arbeitszeiten stärker „fragmentiert“ werden. Zerstückelte Arbeitstage, bei denen sich beispielsweise Erwerbs- und Sorgearbeit mehrfach abwechseln, mögen kurzfristig die Bewältigung des Alltags erleichtern.

Zufrieden mit ihrer Work-Life-Balance sind vor allem weibliche Beschäftigte, die ihre tägliche Erwerbsarbeit länger für private Zwecke unterbrechen, aber nicht, zeigt die Untersuchung, die Lott zusammen mit einem Experten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) angestellt hat. Vielmehr prägen Zeitdruck und Stress „fragmentierte“ Arbeitstage besonders stark. Für die Gesundheit wichtige Ruhezeiten geraten unter Druck, die wöchentlichen Arbeitszeiten werden länger.

Nachteile für die Erwerbstätigkeit von Frauen: Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag ebenso wie ähnliche politische Forderungen nach längeren Erwerbsarbeitszeiten ignorieren die Existenz unbezahlter Arbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird, analysiert Forscherin Yvonne Lott. Betreuungskonflikte etwa würden durch weiter entgrenzte Arbeitszeiten nicht gelöst, sondern verschärft. Ein solches Modell begünstige tradierte Rollenverteilungen und stehe der Gleichstellung von Mann und Frau entgegen, warnt die Expertin.

Nicht zuletzt werde es für Frauen, die Teilzeit arbeiten, schwerer, ihre Arbeitszeit auszuweiten, wenn beispielsweise der vollzeitbeschäftigte Partner noch länger im Erwerbsjob arbeitet und noch weniger Zeit für Sorgearbeit habe. Dabei wäre ein größeres Erwerbsvolumen von Frauen ein wichtiger Faktor, um das Arbeitskräftepotenzial zu vergrößern.

Außerdem sind die Maßnahmen auch geeignet, die Demokratie weiter zu schwächen, analysieren Lott und weitere Forschende. Umfragen des WSI belegen, dass viele Beschäftigte bereits heute zu wenig Zeit für politisches oder gesellschaftliches Engagement haben. Nur ein gutes Drittel der Erwerbstätigen ist im gewünschten Maß aktiv, unter erwerbstätigen Müttern sogar lediglich 20 Prozent. Eine funktionierende Demokratie brauche aber Demokrat*innen, die Zeit für politische und zivilgesellschaftliche Beteiligung aufbringen …

Den gesamten Forschungsüberblick der Studien zum Thema „Arbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, Erfassung“ finden Sie hier.